Der Lippische Künstlerbund hat Geschichte!

Besonders zwei Personen beeinflussten die ersten fünfzig Jahre des Lippischen Künstlerbundes. Der Kunstmaler Bruno Wittenstein ist zwar ein Wegbereiter und der Gründungsvorsitzende des 1913 ins Leben gerufenen Vereins, geprägt haben ihn aber besonders der 1914 mit in den Vorstand gewählte Kunstmaler Ernst Rötteken und ab Ende der 1920er Jahre der 1925 in den Künstlerbund eintretende Kunstmaler Karl Henckel.

In den schwierigen Zeiten der Weltwirtschaftskrise und des Nationalsozialismus fühlten sich beide Persönlichkeiten berufen, den im Lippischen Künstlerbund organisierten Mitgliedern gute Arbeits-, Ausstellungs- und Lebensbedingungen zu ermöglichen.

 

Ihr sehr guter Kontakt zu den lippischen Verwaltungen und politischen Entscheidern, im Fürstentum Lippe vor und nach dem ersten Weltkrieg, war Voraussetzung für diese selbst gestellte, ehrenamtliche Aufgabe.

Gleichzeitig bedurfte es aber auch in der Administration gegenüber den Kunstwerken und Tätigkeiten der regionalen bildenden Künstlerinnen und Künstler einer Wertschätzung und Bereitschaft zur Kooperation.

Bruno Wittenstein, der sich aus einem interessierten lippischen Künstlerkreis heraus, eventuell auch als Ideengeber, bereit erklärte, das Amt des Gründungsvorsitzenden zu übernehmen und den Verein „unter dem Protektorat des Lippischen Fürsten“ im April 1913 in das Vereinsregister eintragen ließ, erscheint in seiner weiteren Entwicklung – während des Ersten Weltkrieges, der Umbrüche in Lippe nach dem Krieg, in der Planung und Organisation zur ersten Kunsthalle … – nur am Rande.

 

Dagegen tritt Kunstmaler Ernst Rötteken in den Vordergrund, gut befreundet mit Wittenstein und wahrscheinlich auch in der Gründungsversammlung vertreten. Aber erst im Jahr darauf, 1914, war er bereit, besondere Verantwortung im Vorstand zu übernehmen. Sein Eintritt in den Vorstand wird 1914 durch den Eintrag ins Amtsregister belegt.

Im selben Jahr formuliert er handschriftlich eine Forderung an die Stadt Detmold, mit der Bitte, dem neu gegründeten Verein einen adäquaten Sitz zur Verfügung zu stellen: „ …um die Aufgaben im Sinne der Lippischen Künstlerschaft ausüben zu können“. So kurz vor dem Ersten Weltkrieg eine schwierige, aber bis in die heutige Zeit bedeutsame Forderung, die die Stadt Detmold postwendend ablehnte. Unterschrieben ist dieser Brief mit „Ernst Rötteken, Vorsitzender“. Auch wenn im Protokoll des Amtsgerichts kein Hinweis darauf vorhanden ist, dass Rötteken den Vorsitz des Vereins übernommen hat, scheint es in der Praxis der Ausübung der Vereinsgeschäfte eine dahin gehende Veränderung in der Vereinsstruktur gegeben zu haben.

 

Während des Krieges als Zeichner und Fotograf an der Westfront stationiert und in Baden-Württemberg unterwegs, greift Rötteken, nach dem Ersten Weltkrieg und nach Auflösung des Füstentums Lippe mit der Neuorganisation der lippischen Verwaltung, die oben genannte Forderung wieder auf und übernimmt die Funktion eines Sprachrohrs des Vereins. Alle auf den Verein bezogenen Korrespondenzen laufen über ihn und münden 1923, mit Bruno Wittenstein als „Stellvertreter“, in die Realisierung der ersten Lippischen Kunsthalle in der Stadthalle in Detmold. Röttecken führt im weiteren Verlauf den Verein bis 1928. Auch wenn sich hier wiederum in den Unterlagen des Amtsgerichts keine niedergelegte Veränderung in der Struktur des Vereins auffindet, ist nachgewiesen, dass Rötteken die wesentlichen Amtsgeschäfte des Vereins bis zu diesem Zeitpunkt innehatte.

Rötteken, der seinen Unterhalt u.a. mit Kunstunterricht am Leopoldinum in Detmold erwirtschaftet, engagiert sich öffentlich für eine Intensivierung des Kunstunterrichts an höheren Schulen. Zu diesem Thema hält er 1929 auf einer Tagung des Reichsverbands bildender Künstler (RVbK) in Dortmund ein in Fachkreisen viel beachtetes Referat „Über das Interesse der freien Künstlerschaft am Kunstunterricht in den höheren Schulen“. Die vom RVbK 1930 in Detmold unter der Leitung von Rötteken veranstaltete Kunsterziehertagung gründet sich auf diesen Kontakt. Die Veranstaltung begleitend wurde eine herausragende Ausstellung zeitgenössischer Kunst in der neu eröffneten dritten Kunsthalle im Landestheater in Detmold organisiert – mit Werken von Käthe Kollwitz, Lovis Corinth, Max Liebermann, Willy Jaeckel, Max Pechstein und anderen, kombiniert mit Werken ausgewählter lippischer Künstler.

Der 1925 in den Verein eintretende und laut Eintrag im Amtsregister sogleich in den Vorstand gewählte Kunstmaler Karl Henckel übernimmt 1928 den Vereinsvorsitz von Karl Rötteken. Wie oben beschrieben, lässt sich dieser Vorgang eindeutig belegen.

Unter seinem Einfluss wird am 30.4.1928 der Lippische Kunstverein unter der Leitung von Professor Klatt als eigenständiger Verein gegründet. Henckel teilt dem Vorsitzenden der Landesregierung Heinrich Drake den Wechsel an der Spitze des LKB mit und weist ihn gleichzeitig darauf hin, dass die lang diskutierte Gründung eines Lippischen Kunstvereins kurz vor ihrem Abschluss steht. Karl Henckel prägt den Lippischen Künstlerbund seither durchgehend, auch in den Zeiten des Nationalsozialismus, bis 1946 mit einem kurzzeitigen Wechsel des Vorsitzes 1936-1938 erneut durch Ernst Rötteken.

 

Unter Federführung des 1930 in den Lippischen Künstlerbund aufgenommenen Kunstmalers Walter Steinecke, wurde der Bund 1933 aufgelöst. Steinecke, Maler, Graphiker und Besitzer eines Verlages in Lemgo, Nationalsozialist, Mitglied der Partei, sah nach der durch ihn mitorganisierten Reichstagswahl in Lippe bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten seine Möglichkeiten gekommen. In seiner neuen Funktion als Leiter des Arbeitsamtes löste er den Bund per Verordnung am 29.7.1933 auf und übernahm den Vorsitz in der neu eingerichteten lippischen Kulturkammer. In dieser Situation bemühte sich Karl Henckel als Vorsitzender des nun aufgelösten Künstlerbundes, im Sinne des Vereins und seiner ihm angeschlossenen Mitglieder, weiter wirken zu können. Er bewarb sich neben Steinecke für den Stellvertreterposten in der lippischen Untergruppierung des Reichsverbandes Bildender Künstler, der ihm auch übertragen wurde.

In dieser Position erreichte er 1935, entgegen der Gleichschaltungsanordnungen der Nationalsozialisten, über Ausnahmegenehmigungen und mit guten Argumenten, den Verein offiziell wieder zu begründen und ihn in das Vereinsregister beim Amtsgericht Detmold eintragen zu lassen. Die Errungenschaften des Vereins der 20er Jahre konnten im Ansatz wieder aufleben: finanzielle Unterstützungen für die lippischen Künstlerinnen und Künstler, Ankäufe von Arbeiten und Aufträge durch die Behörden, Ausstellungen.

Die gute Zusammenarbeit zwischen Karl Henckel, Thomas Grochowiak und Heinrich Drake mündete 1945 in die Neugründung des Künstlerbundes. Der SPD-Politiker Heinrich Drake, Vorsitzender der Lippischen Landesregierung ab 1925 und ab 1932 ihr Präsident, großartiger Fürsprecher und Unterstützer des Künstlerbundes, musste 1933 nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten sein Amt aufgeben. Er wurde aber nach der Kapitulation 1945 durch die Alliierten rehabilitiert und kehrte als Landespräsident in dieses Amt zurück. Sein Engagement für die lippische Künstlerschaft und seine guten Kontakte zum Künstlerbund – Rötteken und Henckel aus früheren Zeiten – lebten wieder auf. Auch die nachfolgenden Vorsitzenden, Köster und Schulz-Sorau, hielten diese sehr fruchtbringende Verbindung zu Heinrich Drake und den Verwaltungen aufrecht.

 

In der Phase des Aufbruchs regte die Landesregierung Ende 1945 eine große lippische Kunstausstellung unter der Leitung von Karl Henckel an, in welcher die aus Mitgliedern des Lippischen Künstlerbundes bestehende Jury die Werke ausgewählter Künstlerinnen und Künstler aus Lippe und Schaumburg-Lippe präsentierten.
Nach Abschluß der Ausstellung 1946 gibt Karl Henckel seinen langjährigen Vorsitz im Künstlerbund an Wilhelm Köster ab.

Kunstmaler Wilhelm Köster wird vorerst als geschäftsführender Vorsitzender eingesetzt und 1947 durch die ordentliche Mitgliederversammlung als Vorsitzender nach Karl Henckel bestätigt. Kösters Verdienst ist es, den Verein in den Wirren der ersten Nachkriegsjahre neu aufzustellen, ihm Struktur zu geben, die Mitglieder mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen und eine neue Gemeinsamkeit zu initiieren. Auch den neuen Themen und Tendenzen in der bildenden Kunst der Nachkriegszeit, dem Informel, der Abstraktion, steht Köster sehr aufgeschlossen gegenüber, regt die Mitglieder an, sich selbst mit den neuen Tendenzen zu befassen und präsentiert die Ergebnisse dieser suchenden Auseinandersetzung in aktuellen Ausstellungen, gleichberechtigt neben traditionellen Exponaten – nicht ohne damit entsprechende grundsätzliche Diskussionen und Auseinandersetzungen unter den Kolleginnen und Kollegen zu provozieren.
Auch in der Presse und bei den Besuchern der Ausstellungen sorgten diese für Lippe neuen und ungewöhnlichen Gestaltungen für große Aufmerksamkeit, auch für bissige Heiterkeit und sehr kontroverse verbale Einlassungen. –

Die Gründung des Lippischen Künstlerbundes im Jahr 1913 wurde 2021 durch das Auffinden der Eintragung im Amtsgerichtsregister ausdrücklich bestätigt. Die gegenwärtige Zählung, basierend auf einem Datum im Jahr 1917, kann in ihrem Ursprung nur vermutet werden.

Aus den Versammlungsprotokollen ist ersichtlich, dass Karl Henckel im März 1933 ausdrücklich das 20jährige Bestehen des Vereins und das 10jährige Bestehen der ersten Lippischen Kunsthalle hervorhebt und ganz optimistisch für den Sommer 1933 eine Jubiläumsausstellung plant – vor der Auflösung und dem Verbot des Vereins durch die Nationalsozialisten.

Noch 1948 wird auf Vorschlag des Vorsitzenden Wilhelm Köster angeregt, das 35jährige Bestehen des LKB in einer Jubiläumsausstellung zu würdigen, wobei sich hier drei Jahre nach dem Krieg verständlicherweise nur wenige Mitglieder für dieses besondere Ereignis interessiert zeigen.

 

Wahrscheinlich wurde erst in den 1960er Jahren die gegenwärtige Zählweise, basierend auf dem vermeindlichen Gründungsdatum 1917 oder der Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg 1947, in die offizielle Auffassung übernommen, was in die Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum 1967 mit der Ausstellung im Landesmuseum und einem Katalog mündete.

Für den Lippischen Künstlerbund bedeutet die neue Zählung, dass sich sein Gründungsjahr 2023 zum 110. Mal jährt. Vielleicht ergibt sich für die Zukunft des LKB auch ein erneutes Aufleben des 1947 noch als sehr vielversprechend beschriebenen Kontaktes ins Gustav-Lübke-Museum nach Hamm, in dem der Künstlerbund mehrfach Gelegenheit hatte, die Arbeiten der lippischen Künstlerinnen und Künstler angemessen zu präsentieren.

 

(Bildmaterial zu diesem Abschnitt mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Detmold und des Landesarchivs NRW OWL)

Literatur: A. Fuchs, 50 Jahre LKB, Chronologie des Lippischen Künstlerbundes 1913/1917-1963/1967. LKB-Eigenverlag 2021